Artikel aus dem Utemagasinet



Bort fran Kunsgleden - Abseits vom Kungsleden




Ute Magasinet 5/2002 S. 20-26

Bort fran Kunsgleden - Abseits vom Kungsleden

Besuche diesen Sommer einen unbekannteren und seltener durchwanderten Teil des Kiruna-Gebirges. Weiche dem Gedränge des Kungsleden aus, um auf den Wegen der Gebirgspionere zu wandern. Wege, die jetzt, trotzt ihrer Schönheit, fast in Vergessenheit geraten sind.

Text: Kalle Grahn, Fotos: Henrik Trygg, Übersetzung: Karin Griewatsch

Während einer Wanderung auf dem Kungsleden fiel mir auf, wie kommerzialisiert und teilweise sogar angegriffen die Landschaft und das Erlebniss waren. Entlang des ausgetretenen und erodierten Weges gab es immer wieder Reklameschilder für Bootstransporte, geräuchertes Rentierfleisch und frischen Fisch. In Allesjaure hatte ein grosses japanisches Filmteam die Hütten in Beschlag genommen. Andere Wanderer in der Gegend mussten umziehen, warten oder sogar Umwege gehen, um die Filmarbeiten nicht zu stören. In Abiskojaure war die Hütte voll mit zwei grossen geführten Gruppen aus Italien. Natürlich ist diese Art, mit der die Zugänglichkeit und Bequemlichkeit entlang des Kungsleden entwickelt wurde, ein Vorteil für viele Wanderer mit weniger Erfahrung und Kondition. Und sicher ist es richtig, manche Gegenden mehr leiden zu lassen als andere, das ist ja ein allgemein anerkannter Gedankengang innerhalb des Naturschutzes, der sich Zonierung nennt. Der schwedische Tourismus und die Wirtschaft im Gebirge brauchen Attraktionen wie den Kungsleden, das ist ganz klar! Aber vielleicht sollten wir als Konsumenten ein Produkt nachfragen, das mehr im Gleichgewicht mit seiner Umgebung ist. Ein Produkt, das auch langfristig haltbar ist.

Stefan Skoglund vom STF ist verantwortlich für die Hütten und die Sicherheit entlang des Kungsleden. Er meint, dass markierte Wege eine Form von Kanalisierung und Zonierung des Gebietes sind, die es gerade Gästen mit weniger Erfahrung ermöglicht raus in die Gebirgswelt zu kommen. "Deutliche Wege, viel Menschen und ausgetrampelte Pfade sind für viele eine Sicherheit." Stefan meint, es ist eine Frage des Gleichgewichts zwischen dem, was der Boden aushält und was für den Besucher akzeptabel ist. "Für den, der den Boden abgenutzt und allzuviele Menschen störend findet, gibt es immernoch die Möglichkeit, abseits von den Wegen zu wandern und skizufahren, wo das Gelände weder angegriffen noch präpariert ist." Ausserdem meint Stefan, dass markierte Wege ein Mittel zur Steuerung und zum Schutz sind. Der Kungsleden vermindert Störungen bei der Rentierzucht und schützt Flora und Fauna durch die Kanalisierung der Besucher. "Die schwedische Gebirgswelt erträgt viel mehr Menschen als heute unterwegs sind", sagt Stefan. Er meint auch, dass der Druck zeitweise auf gewisse Teile des Kungsleden gross ist und meint, man bräuchte aber bloss die Besucherströme auszugleichen in gewissen Gebieten und zu gewissen Zeiten. Durch differenzierte Preispolitik, Paketreisen und Information über andere Gebiete will man beim STF die Belastung von einigen Gebieten in andere streuen und verlagern. Stefan sieht es gern, dass mehr Besucher weniger bekannte Gebiete, wie z.B. das Vistastal und Nallo, in den meist intensiven Wochen des Jahren nutzen. Beim STF sieht man gerne kleinere Gruppen, damit die Besucher ein besseres Erlebnis und Produkt bekommen, dass mehr in Richtung Ökotouristik geht. Die Erhaltung ist ein zentraler Gedanke und Zielvorstellung.

Nimm den Weg nach Osten

Wenn wir eine Alternative zum Kungsleden suchen, weniger begangene Wege, aber trotzdem die grossartige Natur des Kirunagebirges, dann müssen wir unsere Blicke vom Kungsleden weiter nach Osten richten. Direkt östlich von Abisko hinter dem Lapporten und südlich vom Kaisepakte breitet sich eine leicht hügelige Gebirgshochebene aus, die sich bis zum Rautasjaure und Allesätnu ausdehnt. Südlich davon erhebt ein Massiv seine Gipfel zum Himmel, das Marmamassiv, von hier führt das Vistastal nach Süden in Richtung Nikkaluokta. Hier finden wir was wir suchen, Abgeschiedenheit, das Gefühl unberührten Boden zu betreten, Abwechslung und das ursprüngliche Gebirgserlebnis.

Klare Gebirgsluft

In Nikkaluokta beginnt unsere Wanderung nach Norden, in die Gebirgswelt. Erik Sarri fährt uns mit seinem Boot flussaufwärts auf dem Vistasjokken. Es hat mehrere Tage lang gestürmt und es hat bereits einige Nachtfröste gegeben. "Vor ein paar Tagen haben hier noch 2 Dezimeter Schnee gelegen" sagt Erik. Jetzt ist nur noch auf den obersten Gipfeln blendendweisser Schnee übrig und das Wetter ist so perfekt, wie es in diesen Teilen unseres Landes nur sein kann. Die Minusgrade haben die Mücken beseitigt und die Luft ist so klar, hoch und rein, wie man es nur im Norden erleben kann. "Vor ein paar Tagen kämpften sich ein paar Wanderer zu den Hütten durch, um in dem starken Sturm Schutz zu suchen." Das kommt uns weit entfernt vor, wo wir jetzt im Boot sitzen, die Sonne und die Natur geniessen. Erik erzählt uns von der Tierwelt im Tal. "Das Vistastal ist Elchgebiet. Hier werden die Elche genauso gross, wie im Sarek, aber sie sind sehr schwer aufzuspüren." In dem dichten Bergbirkenwald zu jagen, ist eine Herausforderung für den erfahrensten Jäger. Es ist eine sehr spezielles Erlebnis, eins von diesen grossen Tieren vom Nahen zu sehen, wie sie am Ufer stehen und ruhig äsen. Erik sagt, dass er normalerweise während der Hochsaison zweimal täglich mit Wanderern den Fluss hochfährt. Aber das bedeutet natürlich kein Gedränge, das Tal ist mehrere Zehnerkilometer lang und in das Boot passen nicht mehr als 4-5 Personen. Als Erik das Boot wendet und uns alleine lässt, wird alles endlich ruhig und still. Erst vor zwei Stunden sind wir in Kiruna aus dem Zug gestiegen und jetzt stehen wir mitten in der klassischen schwedischen Gebirgswelt. Die Gipfel mit ihren schwarzen Hängen, mit ihren Rinnen bekleidet mit Schnee und der blaue Himmel bilden einen starken Kontrast mit dem grünen Birkenwald und dem türkisfarbenen Wasser im Fluss. Während der Wanderung nach Norden sehen wir den Pass, der uns in zwei Tagen in die versteckten Täler des Marmagebiet bringen sollen. Das Gepäck ist etwas schwer und in unseren ungeübten Körpern schmerzt es ordenlich, als wir uns eine Rast auf einem Stein mitten in einem Multebeermoor gönnen. Wir naschen vom lappländischen Gold und geniessen die Aussicht nach Westen, in das Unnareaiddavaggir. Dort erheben sich mehrere mächtige Gipfel, mit schönen blau-türkisen Gletschern, die sich an ihren Hängen herabwälzen. Die mächtigsten dieser Gipfel haben passende und sprechende Namen wie z.B. Wachtposten, Pyramide und Messerkamm. Am Abend erreichen wir müde die Vistashütte und werden von Siv, der Hüttenwirtin, willkommen geheissen.

Am nächsten Tag fällt leichter Regen und die Wolken hängen tief. Wir beschliessen, besseres Wetter abzuwarten bevor wir den grossen Aufstieg zum Marmapass in Angriff nehmen. Wir machen einen Ausflug stromaufwärts dem Vistasjokk. Direkt oberhalb der Vistashütte zeigt der Fluss ein schönes Schauspiel, wo er in Mäandern nach Süden fliesst und in Türkis und smaragdgrünen Farben glitzert. Die mächtigen schwarzen Felswände des Sjelmatjokka, Kugghjulskammen und die Spitze vom Nallo verschwinden in den dichten Wolken, die durch das Tal treiben und ständig das Lichtspiel im Fluss verändern.

Am Nachmittag bietet Siv uns frisches Brot mit aufgebrühten Kaffee an. Wir stellen fest, dass wir endlich Abstand vom Alltag bekommen haben. Da schlägt die Tür plötzlich auf und vier Personen treten ein, die aussehen, als wären sie den Vistasjokk hinaufgeschwommen. Es zeigt sich, dass sie tatsächlich von der Marmahütte über den Marmapass hierher gewandert sind. Dass es sich um erfahrene Wanderer handeln muss, erkenne ich schnell, denn es war keine leichte Aufgabe, sich bei fast null Sicht in dem durch Regen glischigen Blockwerk zu orientieren. Die Wanderer berichten vom harten Wetter oben in Marma. Mitten im Unwetter stiessen sie auf ein Paar, das sich vor genau 25 Jahren in der Marmahütte getroffen hatte. "Ihr Zelt wurde vom Wind zerfetzt und ihr 12jähriger Sohn war nur bedingt begeistert von dem Platz, an dem sich Mamma und Papa kennengelernt hatten" berichtete einer der Wanderer.

Die Wanderung von der Vistashütte hoch zum Marmapass ist hart und man sollte mit einer langen Tagestour rechnen. Aber man wird reichlich belohnt. Die Aussicht vom Marmapass ist ein prachtvolles Schauspiel von Licht, Gletschern und einigen der höchsten Gipfeln des Landes. Einige Wanderbücher warnen vor dem Pass und meinen er wäre sehr steil und es wäre nicht leicht, den richtigen Weg zu finden. Aber die Schwierigkeiten auf dem Pass müssen definitiv weniger dramatisch dargestellt werden. Sicher ist dies ein schwieriges und unübersichtliches Gelände, wenn das Wetter und die Sicht schlecht sind, aber dann soll man sich ja besser nicht im alpinen Hochgebirgsgelände aufhalten. Bei schönem Wetter ist es auf jeden Fall eine wunderschöne Etappe. Auf dem Pass öffnen sich Blicke, in die versteckte Marmagegend.

Das Gespenst in der Marmahütte

Westlich von uns erhebt sich das Marmamassiv mit dem Marmapakte und den Hökgipfeln in der Mitte. Von diesen grossartigen Gipfeln schlängeln sich zwei Gletscher hinab. Der südliche Gletscher hat enorme Endmoränen und der nördliche ist einer der wenigen Gletscher in Schweden, die direkt in einen See kalben. Östlich von uns liegt das Quellgebiet des Leavasjokk, ein Gewässer, mit dem unzählige Anglergeschichten verbunden sind. Südlich von uns schlängelt sich der Vistasjokk und im Hintergrund erheben sich die Gipfel vom Kebnekaise. Die Aussicht auf dem Pass ist unglaublich. Wir stehen still mit einigen Metern Abstand, schauen, riechen und erleben mit allen unseren Sinnen die Gefühle, die durch den Körper strömen. Gefühle von Freiheit, Ausgefülltheit, Frische und Stolz, ein Stolz darüber, die Zeit gut zu nutzen. Der Same Nils Aslak Valkespää hat die Gefühle, die ich gerade erlebe, in Worte gefasst:

All dieses ist mein Zuhause
Diese Fjorde Flüsse Seen
Kälte Licht das harte Wetter.
Die Nacht und Sonnenseite der Hochebenen
Freude und Kummer
Schwestern und Brüder.
All dies ist mein Zuhause
und ich trage es in meinem Herzen.

Im samischen Glauben meint man, dass alles, was in der Natur gelebt hat und lebt, eine Seele hat. Desshalb gehören Menschen und die Natur zusammen in einer Einheit. Keiner von uns würde das nicht unterschreiben, als wir zum Schluss die Eindrücke verdaut haben und weiter in Richtung Marmahütte wandern. Direkt südlich der Hütte muss man waten, je früher man dies tut, desto besser, denn je näher man an die Hütte kommt, desto schwieriger wird es, eine sichere Stelle zu finden. Die Marmahütte ist eigentlich keine Hütte, sondern nur ein Windschutz mit zwei Pritschen und einem Ofen. Gedacht vorallem für Notsituationen. Einige behaupten, dass die Marmahütte verflucht sei. Etwas, was wir nicht erleben konnten oder was uns vielleicht zum Glück erspart blieb. Es ist auf jeden Fall wahr, dass zwei grosse Gebirgskerle vor erst einem Jahr angeblich von etwas in der Hütte derart erschreckt wurden, dass sie halsüberkopf hinaus in die Nacht flüchteten.

Spuren des Inlandeises

Die Wanderung weiter nach Norden ist angenehm und schön, wo sie dem Fluss folgt, der sich in einen Canyon stürzt. Im Talgang des Alesätno gibt es alte Toteislöcher für den, den es interessiert. Hier hat das Sediment unter dem Gletscher der Eiszeit grosse Eisblöcke eingeschlossen, die danach im Sand die Zeit überdauerten. Als sich das Inlandeis dann zurückzog, blieben die Eisblöcke unter dem Sand liegen und schmolzen nur langsam, das Resultat sehen wir heute in Form von grossen Gruben. Je höher wir auf den Berg nördlich vom Tal steigen, desto mehr sehen wir von dem grossen und schön gelegenen See Rautasjaure. Das Plateau, das wir nun erreichen, ist eine hügelige und leicht zu bewandernde Hochfläche. Eine etwas beschwerliche Watstelle behindert unsere ansonsten unbeschwerte Wanderung in Richtung Kaisepakte.

Früher wanderten viele diesen Weg durch das Kirunagebirge, aber der Weg geriet langsam in Vergessenheit. Heute ist diese Wanderung von Kaisepakte hinein ins Marmagebiet eine perfekte Alternative für den, der ein etwas ungestörteres Dasein sucht. Als wir uns dem Pessijaure nähern, haben wir einen schwachen Wind im Gesicht und gehen still in Gedanken versunken. Deshalb bekommen wir Gelegenheit, einige Minuten lang zwei junge, hübsche Rotfüchse nur etwa 20 Meter vor uns Fangen spielen zu sehen. Vielleicht kein einmaliges Erlebnis, aber es berührt mich jedes Mal, wenn ich ein wildes Tier in seinem richtigen Element sehe. Wir schlagen unser Lager auf, und als die Mücken sich nach ein paar Tagen Wärme wieder in Erinnerung rufen, suchen wir für die letzte Nacht Schutz im Zelt.